StartseiteArtikel

Trendsetter: Die missionsgetriebene Transformation von Mars

IMD2025-12-19 15:47
Poul Weihrauch ist derzeit Präsident und Chefexecutiv der Mars Inc. In einem Gespräch mit Thomas Malnight resümiert Weihrauch, wie er diesen traditionellen Konzern, der vor allem auf die Herstellung von Tiernahrung spezialisiert war, in einen Marktführer im Bereich Tiergesundheit und -pflege transformiert hat.

Die geschätzte Lesezeit für den gesamten Artikel beträgt etwa 17 Minuten.

Poul Weihrauch, der derzeit Präsident und CEO von Mars Inc. ist, war von 2014 bis 2022 der globale Präsident von Mars Petcare. Unter seiner Leitung hat sich das Geschäft von Petcare verdoppelt, und die durchschnittliche jährliche organische Wachstumsrate hat sich mehr als verdreifacht. In einem Gespräch mit Thomas Malnight hat Weihrauch zurückblickend erzählt, wie er diesen traditionellen, auf Haustierfutter spezialisierten Bereich in einen Führer auf dem Gebiet der Tiergesundheit und -pflege transformiert hat.

Thomas: Poul, lassen Sie uns zunächst über die "Mission" sprechen. Viele Unternehmensführer reden über Mission, aber nur wenige können diese tatsächlich in die Strategie umsetzen und dadurch Geschäftstransformation und Wachstum erzielen. Wie haben Sie vorgegangen, als Sie 2014 Petcare übernahm?

Poul: Zunächst einmal ist Mars ein Unternehmen, das seit langem an "Prinzipien" festhält. Wir haben fünf Kernprinzipien - Qualität, Verantwortung, Gegenseitigkeit, Effizienz und Freiheit. Diese Prinzipien stehen nicht nur auf Papier, sondern sind tief in die Unternehmensgeschichte, -kultur und -alltag integriert. Diese Grundlage macht es uns nicht fremd, wenn wir über die "Mission" sprechen. Aber die Mission in den Mittelpunkt der Strategie und der Entscheidungen zu stellen, war ein neues Experiment.

Petcare hat bereits 2009 eine Mission formuliert - "Eine bessere Welt für Haustiere schaffen". Damals stand sie nur an der Wand und auf den Visitenkarten und hat unsere Arbeitsweise nicht wirklich verändert. Erst 2015 haben wir die Mission offiziell in die Strategie integriert und sie zum Kern des Geschäfts gemacht. Innerhalb von Mars gibt es ein strategisches Modell namens "OGSM", das aus Ziel (Objective), Ziele (Goals), Strategie (Strategy) und Maßnahmen (Measures) besteht. Damals haben wir die "Mission" direkt als höchstes Ziel des Petcare-Bereichs festgelegt, damit sie nicht mehr nur ein leeres Wort war, sondern der Ausgangspunkt für alle Strategien und Entscheidungen.

Nachdem wir die Mission in den Mittelpunkt gestellt hatten, haben wir festgestellt, dass die Bedürfnisse von Haustieren und Haustierbesitzern in verschiedenen Phasen sehr unterschiedlich sind. Wenn wir wirklich "eine bessere Welt für Haustiere schaffen" wollen, müssen wir diese Bedürfnisse verstehen und Lösungen finden. Dieser Ansatz hat nicht nur unser Geschäftsportfolio verändert, sondern auch die Arbeitsweise der einzelnen Geschäftseinheiten.

Wir betrachten unser Geschäft nicht mehr als vertikale Produktlinien, sondern konzentrieren uns auf die Schaffung eines ganzheitlichen "Ökosystems für Tiergesundheit". Dafür haben wir viel Zeit damit verbracht, Tausende von Haustierbesitzern zu interviewen und die Probleme zu ermitteln, die sie beim Halten von Haustieren haben. Beispielsweise sind viele Menschen in der Adoptionsphase ratlos, welches Haustier sie wählen sollen, was sie füttern sollen, welche Impfungen nötig sind, wo sie hin gehen sollen, wenn das Haustier krank ist, und was mit dem Haustier in den Ferien passieren soll. Wir haben den gesamten Lebenszyklus eines Haustiers - von der Adoption bis zum Lebensende - gründlich analysiert und überlegt, wie wir helfen können.

Dieser auf "Problemen" basierende Denkansatz hat uns dazu gebracht, uns von einem einseitigen Geschäft hin zu einem Plattformunternehmen zu entwickeln und die Rolle eines "Verbinders" und "Bereichers" zu übernehmen.

Nehmen wir das Beispiel der Haustierfutterbranche. Royal Canin, ein Teil von Mars Petcare, konzentriert sich seit langem auf die Ernährungsbedürfnisse von Haustieren unterschiedlicher Rassen und Alter und entwickelt sogar Ernährungslösungen für bestimmte gesundheitliche Probleme. Oft arbeitet es mit Tierärzten zusammen, um Produkte zu entwickeln, die die Gesundheit von Haustieren unterstützen, bevor der Markt diese Produkte überhaupt nachfragt. Wir haben diese Position verstärkt und ständig nach Möglichkeiten gesucht, wie Royal Canin mit mehr Interessengruppen zusammenarbeiten kann, um die Tiergesundheit voranzutreiben.

Ein weiteres Beispiel ist die Haustieradoptionsplattform. Zunächst wollten wir nur Haustierbesitzern helfen, das richtige Haustier zu finden. Aber bald haben wir festgestellt, dass das nicht genug ist. Wir mussten auch den gesamten Adoptionsprozess berücksichtigen, einschließlich der Unterstützung von Familien, die ihr Haustier aus verschiedenen Gründen abgeben müssen. Für ein Haustier ist es ein großer Schock, in ein Tierheim gebracht zu werden, und das gilt auch für den Besitzer. Deshalb haben wir eine "Neuanpassungsplattform" entwickelt, die es diesen Haustieren ermöglicht, über eine Direktverbindung ein neues Zuhause zu finden, ohne in ein Tierheim zu gelangen. Diese Vorgehensweise betrifft sowohl das Glück der Haustiere als auch die Probleme der Haustierbesitzer.

Das Erkennen der "Problemstellen" im Leben von Haustieren und ihren Besitzern ist der Schlüssel zum Erfolg.

Wir haben auch die Whistle-Plattform erweitert. Ursprünglich war es ein GPS-Tracker, der an einem Halsband angebracht werden konnte. Heute ist es ein System, das die Aktivität und Gesundheit von Haustieren überwachen kann und über eine Onlineberatungsfunktion verfügt. Wenn ein Besitzer beispielsweise feststellt, dass "mein Hund kratzt sich ständig, was soll ich tun?", kann er direkt über die Plattform einen Tierarzt kontaktieren und professionelle Ratschläge erhalten.

Auf diese Weise haben wir unseren Fokus von einfachen Geräten auf die ganzheitliche Gesundheitsverwaltung von Haustieren erweitert, einem Bereich, der in der Vergangenheit oft nicht ausreichend spezialisiert und systematisch unterstützt wurde.

Zur gleichen Zeit haben wir unser Geschäft im Bereich der Tierärzte erweitert und uns in Spezialkliniken und Diagnostiklaboratorien engagiert. Die Diagnose ist ein entscheidender Schritt bei der Tiergesundheit. Wir haben ein Unternehmen erworben, das Tierärztdiagnosegeräte herstellt, um Tierkliniken mit fortschrittlichen Testmöglichkeiten auszustatten. Bei diesen Entscheidungen haben wir uns nicht von traditionellen Branchengrenzen einschränken lassen, sondern uns immer an einem Kriterium orientiert: Kann dieses Geschäft die Lebensqualität von Haustieren tatsächlich verbessern?

Während dieses Prozesses haben wir auch bemerkt, dass die Situation der Tierärzte nicht einfach ist. Sie haben oft hohe Studien-Schulden, die manchmal erst kurz vor der Pension vollständig beglichen sind. Deshalb haben wir mit Finanzinstitutionen zusammengearbeitet, um ihnen zu helfen, ihre Schulden zu konsolidieren und die Zinsen zu senken. Wir bieten auch Tierärzten, die in unseren Kliniken und Praxen arbeiten, Unterstützung bei der Rückzahlung ihrer Schulden. Obwohl diese Maßnahme nicht direkt unseren Gewinn steigert, verbessert sie die Lebenssituation der Tierärzte, die eine unverzichtbare Kernrolle in der Tiergesundheit spielen.

Eine weitere typische Investition ist die VETgirl-Plattform. Dies ist eine digitale Bildungsplattform, die von zwei Tierärzten gegründet wurde und sich darauf konzentriert, Kollegen über Onlinekurse und Live-Streamings die neuesten Behandlungsverfahren beizubringen. Für kleinere Tierarztpraxen sind solche Bildungsressourcen besonders wertvoll. Durch die Unterstützung von VETgirl haben wir unsere Unterstützung für die Tierärzteschaft erweitert und ihnen das kontinuierliche Lernen und Wachstum ermöglicht.

Die Designlogik dieser Plattformen basiert immer auf einem Ausgangspunkt: Die Erkennung und Lösung der Problemstellen von wichtigen Interessengruppen in verschiedenen Phasen. Wenn wir "eine bessere Welt für Haustiere schaffen" wollen, müssen wir auch für diese Interessengruppen eine bessere Umgebung schaffen. Die Bedeutung der Plattformen liegt nicht in der Profitabilität einzelner Geschäfte, sondern in der Unterstützung und Förderung des Wachstums des gesamten Ökosystems, um das Unternehmen voranzutreiben und die Mission tatsächlich umzusetzen.

Unsere strategische Einschätzung ist also klar: Wir werden uns auf alle Geschäfte konzentrieren, die die "bessere Welt für Haustiere" vorantreiben, unabhängig davon, ob sie den traditionellen Branchengrenzen entsprechen. Umgekehrt werden wir uns nicht in Märkte einmischen, die nichts mit unserer Mission zu tun haben, auch wenn sie groß und wachsend sind. Diese missionsgetriebene Herangehensweise hat es uns ermöglicht, unser "Ziel" in das strategische Rahmenwerk zu integrieren und es zum Kern aller Entscheidungen zu machen.

Als ich Petcare übernahm, übernahm ich ein bereits erfolgreiches traditionelles Geschäft. Mein Ziel war es jedoch, es zu einer grundlegenden Transformation und zum Wachstum zu bringen. Dafür haben wir einen Innovationsprozess namens Pathfinder gestartet, der von uns in Zusammenarbeit mit der IMD entwickelt und umgesetzt wurde. Der Kern von Pathfinder besteht darin, Mitarbeitern und Führungsteams die Möglichkeit zu geben, bestehende Hindernisse zu erkennen und nachhaltige Wachstumschancen zu schaffen. Im Laufe des Prozesses haben wir auch Treffen mit externen Unternehmen zu bestimmten Themen organisiert, um von außen Einblicke zu gewinnen und diese in die Organisation zurückzuführen, um so festgefahrene Denkmuster zu brechen und neue strategische Ideen zu entwickeln.

Wir nennen dies die Denkweise "von außen nach innen, von der Zukunft zurück (outside-in, future-back)" - sowohl von zukünftigen Möglichkeiten ausgehend die strategische Richtung zu bestimmen als auch durch externe Einsichten interne Barrieren zu überwinden. Diese Methode hat uns geholfen, eine neue strategische Grundlage für die Zukunft von Petcare zu schaffen.

Im Rahmen des Pathfinder-Programms haben wir 20 hochpotenzielle Mitarbeiter aus unserem globalen Geschäft ausgewählt und sie aus dem Unternehmen geschickt, um 30 schnell wachsende Unternehmen weltweit zu besuchen. Aus diesen Erfahrungen haben sie vier gemeinsame Themen für die Gestaltung der Zukunft abgeleitet:

  • Immer eine "äußere Perspektive" wahren und das Verständnis der Bedürfnisse von Interessengruppen ständig weiterentwickeln;
  • Von der Ganzheitlichkeit des Ökosystems ausgehen und nicht von traditionellen Branchengrenzen beschränkt werden;
  • Auf echte disruptive Innovationen abzielen und nicht in die Falle des schrittweisen Verbesserungsprozesses geraten;
  • Die "Mission" von einem leeren Wort in den Kern der Strategie umsetzen.

Diese Erkenntnisse haben nicht nur unser Petcare-Führungsteam (PLT) herausgefordert, sondern auch die gesamte Organisation. Wir mussten uns alle neu über das Wesen unseres Geschäfts Gedanken machen und neue Wachstumspfade erkunden. Viele der damaligen "Pathfinders" haben heute immer noch wichtige Positionen in verschiedenen Geschäftseinheiten inne, und ihre Beiträge haben es uns ermöglicht, die Mission von einem "schönen Satz" in die Grundlage für die Gestaltung unserer Strategie und Zukunft umzuwandeln.

Natürlich konnte all dies nicht von einem Tag auf den anderen erreicht werden. Zu Beginn der Transformation war die größte Herausforderung, wie wir gleichzeitig Dynamik und Glaubwürdigkeit schaffen konnten. Deshalb haben wir neben unserem traditionellen Geschäft einige große Akquisitionen vorgenommen - alle in Übereinstimmung mit unserer Mission. Sobald diese Maßnahmen ergriffen wurden, haben die Mitarbeiter in der Organisation sofort verstanden: "Sie meinen es ernst." Taten sprechen lauter als Worte, und die Leute haben gesehen, dass es sich nicht um leere Versprechen handelt, sondern um konkrete Aktionen. Anschließend mussten wir ständig neue Maßnahmen ergreifen und durch kontinuierliche Kommunikation mehr Mitarbeiter für diese Reise gewinnen. Wir wollten, dass sie spüren, dass die Leitung nicht nur redet, sondern auch handelt. Noch wichtiger war es, dass es sich um eine Reise handelte, an der jeder teilnehmen und einen Beitrag leisten konnte.

Zur gleichen Zeit mussten wir unser Geschäftsmodell neu definieren. In der Vergangenheit haben wir ein typisches FMCG-Modell (Fast Moving Consumer Goods) angewendet, das auf die Skalierung und Effizienz einzelner Geschäfte abzielte. Dies war jedoch offensichtlich nicht ausreichend, um uns in ein vernetztes Ökosystem von Dienstleistungen, Technologien und Lösungen zu entwickeln. Unsere missionsorientierte Strategie verlangt, dass wir uns von den traditionellen "vertikalen Segmenten" lösen und über die Verbindung des gesamten Tierökosystems nachdenken. Dies bedeutet, dass wir in völlig neue Geschäftsfelder eintreten und neue Beziehungen zu Interessengruppen aufbauen müssen. Dieser Übergang "von Transaktionen zu Beziehungen" ist der Kern unserer Strategie, aber es hat auch viele Debatten und Zweifel ausgelöst.

In diesem Prozess spielt die Rolle des PLT eine entscheidende Rolle. Jedes Führungsteam bestimmt die Energie und Richtung einer gesamten Organisation. In der Vergangenheit war die Struktur des PLT an traditionelle Funktionen wie Produktion, Marketing und regionale Geschäfte gebunden. Der Schwerpunkt lag auf Effizienz und Leistung, nicht auf der gesamten Mission. Um die Transformation wirklich zu ermöglichen, mussten wir das PLT zum strategischen Gestalter der Unternehmenszukunft und zum Verfechter unserer Mission machen.

Deshalb haben wir das Team grundlegend umstrukturiert: Die Anzahl der Mitglieder wurde von 14 auf 8 reduziert, und es besteht aus Geschäftsleitern sowie Vertretern der Finanz-, Personalabteilung (die wir People & Organization, P&O nennen) und Unternehmensangelegenheiten. Die Finanzabteilung ist nicht mehr nur der Hüter des Budgets, sondern hilft bei der Planung zukünftiger Geschäfte und der Gestaltung strategischer Entscheidungen. Die P&O-Abteilung konzentriert sich auf die Aufbau von Teams, Kultur und Fähigkeiten, um sicherzustellen, dass die gesamte Organisation die neue Richtung unterstützen kann. Die Unternehmensangelegenheiten sorgen dafür, dass die Mission in die interne und externe Unternehmensgeschichte integriert wird und zum Kern der Unternehmensgeschichte wird. Gleichzeitig haben wir eine neue Geschäftseinheit namens Connected Solutions gegründet. Obwohl sie in Bezug auf den Umsatz unbedeutend ist, hat sie die Mission, die Digitalisierung voranzutreiben, disruptive Chancen zu erkunden und ständig die Denkmuster des traditionellen Geschäfts herauszufordern. Dieses kleine Team ist später zu einer der aktivsten Kräfte innerhalb des PLT geworden.

Wie hat der traditionelle Haustierfutterbereich sich an diese neuen Transformationsgedanken angepasst?

Dies war eine weitere wichtige Herausforderung. Bei jeder Transformation ist das traditionelle Geschäft oft der erste Widerstand. Wir hatten damals ein Haustierfuttergeschäft mit einem Umsatz von über 1 Milliarde US-Dollar, das sich ausgegrenzt fühlte: Die Investitionen schienen alle in neue Geschäfte zu fließen, und es fühlte sich wie "nicht beachtet" an. Manche sagten sogar: "Wir bezahlen einfach Ihre neuen Projekte." Hinter diesen Gefühlen steckte tatsächlich eine gewisse Wahrheit, und es hat deshalb für eine Zeit großen Widerstand verursacht.

Es hat uns einige Jahre gedauert, bis wir schließlich ein neues Geschäftsmodell für das Haustierfuttergeschäft entwickelt haben. Glücklicherweise ist es schließlich zu einem Schlüsselbestandteil unserer missionsbasierten Strategie geworden. Denken Sie daran, dass dieses Geschäft über 400 Millionen Haustiere und ihre Besitzer erreicht, was eine weitaus größere Reichweite hat als alle anderen unserer Geschäfte. Indem wir tiefere Beziehungen zu Haustierbesitzern aufgebaut haben, haben wir festgestellt, dass das traditionelle Haustierfutter nicht nur kein "Ballast" ist,