Ist das Vertrauen dabei, die Traffic-Ökonomie zu verschlingen?
Unterwegs zur Shanghai WAIC-Künstliche-Intelligenz-Konferenz war ich gelangweilt und habe ein Interview gehört. Das Datum ist nicht allzu neu: 3. Mai 2024.
Der Gast war der bekannte Silicon-Valley-Unternehmer und Risikokapitalgeber Erik Torenberg. Er hat Community-Produkte entwickelt, eine Medienfirma gegründet und später auch Investitionen getätigt. In ausländischen Kreisen gilt er als ein ziemlich visionärer Mensch.
Er hat in dem Interview über viele Themen gesprochen, wie etwa:
Ist Medienwesen in der Informationsflut noch von Wert? Ist bei einem Startup die Technologie wichtiger oder ist es wichtiger, dass jemand Benutzer für dich gewinnen kann? Warum vertrauen die Menschen heute immer weniger traditionellen Institutionen wie der Regierung und den Medien, und wie verändert die Technologie allmählich Kultur und Lebensweise?
Er hat auch darüber gesprochen, wie neue Medienfirmen sich selbst am Leben erhalten können und sogar ein ganzes Geschäftsmodell aufbauen können. Sehr interessant. Denn viele seiner Ansichten sind auch heute noch relevant.
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Er hat zu Beginn eine gegen die Intuition verlaufende Ansicht geäußert: Der Wert von Medien wird stark unterschätzt. Wie wird er unterschätzt? Erster Punkt: Medien sind nicht einfach ein „Informationsübermittler“, sondern eine „Infrastruktur zur Wertverbindung“.
Erik hat darauf hingewiesen, dass sich das Verständnis vieler Menschen von Medien noch auf der Stufe eines „Vermittlungsmittels“ befindet; tatsächlich liegt der wahre Wert von Medien in der „Verbindung“, in der Verbindung zwischen Fachleuten und der breiten Öffentlichkeit, zwischen Wissen und Geschäftschancen, zwischen Vertrauen und Handeln.
Er meint, dass Medien in der modernen Gesellschaft eher die Rolle eines „Datenvermögens“ und eines „Rufgenerators“ spielen. Beispielsweise hilft ein hochwertiges Podcast nicht nur, Informationen zu vermitteln, sondern auch, den Hörern das Bewusstsein und Urteilsvermögen in einem bestimmten Bereich zu schaffen und sogar ihre Kaufentscheidungen zu beeinflussen.
Zweitens: Inhalte werden immer günstiger, während Aufmerksamkeit und Vertrauen immer teurer werden.
Erik hat eine sehr wichtige Beobachtung gemacht:
„Heute liegt die Grenzkosten von Inhalten fast bei Null. Doch die Knappheit der Aufmerksamkeit nimmt zu.“
Dieser Satz klingt etwas abstrakt, aber wir erleben es jeden Tag.
Du kannst mit KI einen Artikel über „Wie KI das Geschäft verändert“ schreiben, und die Kosten sind fast null; aber es wird immer schwieriger und teurer, dass andere ihn öffnen, lesen, glauben und handeln wollen.
Das ist das, was Erik „Aufmerksamkeitseconomie“ nennt. Der Inhalt selbst ist nicht mehr von Wert. Das, was wirklich wertvoll ist, ist, ob man Menschen dazu bringen kann, „anzuhalten“, „zuzuhören“ und „dir zu glauben“.
Und dieser Prozess ist der wahre Wert von Medien. Die Veränderung des Medienwerts bedeutet, dass sich die Rolle des Inhaltserstellers und des Publikums verändert hat. Erik hat ein sehr interessantes Konzept vorgeschlagen: „Publikums-Partner“.
Ja, dritter Punkt: Ansichts-Partner.
Er sagt: Beim Gründen eines Unternehmens suchen wir gewohnt nach technischen Partnern, Menschen, die dir helfen können, dein Produkt auf den Markt zu bringen und die deine Ideen und Ansichten teilen; sie können nicht nur dein Markenimage aufbauen und Vertrauen schaffen, sondern auch direkt die ersten Benutzer, Kunden und sogar Investoren für dich finden.
Seine eigene Firma Turpentine ist eine Mischung aus „Medien“ und „Investition“; sie produziert Podcasts, schreibt Branchenberichte, betreibt Communities und investiert auch in junge Startups.
Durch die Medieninhalte hat sie nicht nur einen Ruf in der Tech- und Startup-Szene aufgebaut, sondern auch den frühen Bekanntheitsgrad und das Wachstum der Benutzer ihrer investierten Startups gefördert.
Erik hat auch beobachtet, dass sich die Vertrauensquelle zwischen traditionellen Medien und neuen Medien verändert hat.
Traditionelle Medien gewinnen Vertrauen durch die Autorität von Institutionen wie der New York Times und The Economist und durch langjährig aufgebautes Ansehen. Neue Medien basieren auf „Transparenz“ und „direkter Interaktion“.
Heute hat das Medienwesen einen weiteren Schritt gemacht und basiert auf der Interaktion zwischen Menschen. „Die Menschen vertrauen eher einem echten Menschen mit Standpunkten und Ansichten als einer Institution, die versuchen, „überparteilich“ zu bleiben.“
Beispielsweise hat der Podcast-Moderator Harry Stebbings durch kontinuierlich hochwertige Interviews aus dem Bereich Venture Capital eine treue Anhängerschaft aufgebaut. Diese Leute hören nicht nur zu, sondern investieren, gründen auch eigene Unternehmen oder suchen sogar einen Job, basierend auf den Empfehlungen des Podcasts.
Dieses „Vertrauen“ ist für traditionelle Medien schwer zu replizieren, denn es kommt nicht von einer Institution, sondern von einem „Menschen“.
Daher wird der wahre Wert von Medien unterschätzt. Denn die meisten Menschen betrachten Medien noch aus der Perspektive von „Inhalten“ und haben nicht erkannt, dass es sich in der modernen Gesellschaft zu einer „Vertrauensinfrastruktur“ gewandelt hat.
Medien sollen Instrumente zur Schaffung von Fachwissen sein, Benutzerbeziehungen aufbauen, Kaufentscheidungen beeinflussen und gesellschaftliche Konsensbildung vorantreiben.
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Wenn Medien so wichtig sind, welche Rolle sollten sie in einem Startup spielen? Ein Inhaltswerkzeug? Ein Markenmittel? Oder ein Partner?
Erik Torenberg hat in dem Interview eine sehr aufschlussreiche Ansicht geäußert:
Es wird immer einfacher, Produkte zu entwickeln, aber immer schwieriger, Benutzer zu gewinnen. Selbst wenn du ein hervorragendes Produkt entwickelst, ist es wie nicht vorhanden, wenn niemand es kennt oder nutzt. Der erste Schritt eines Startups ändert sich auch grundlegend.
Er hat ein neues Framework vorgeschlagen: Bei einem Startup braucht man zwei Partner: einen, der ein Produkt entwickeln kann, und einen, der Benutzer gewinnen kann.
Wir kennen die Rolle des technischen Partners gut: Er kann Code schreiben, versteht sich auf Produkte und hat technische Barrieren. Er ist die Kernkompetenz eines jungen Startups. Ohne ihn kannst du kein Produkt entwickeln.
Dies war in der Vergangenheit absolut richtig, insbesondere in der frühen Phase des Tech-Startups. Wer etwas herstellen konnte, was andere nicht konnten, gewann.
Aber jetzt sinkt die technische Schwelle schnell. Es gibt immer mehr Open-Source-Code, KI-Tools und Low-Code-Plattformen. Auch normale Menschen können hochwertige Produkte entwickeln; die Technologie wird zur Infrastruktur.
Heute geht es beim Starten eines Unternehmens nicht mehr darum, „ob man etwas herstellen kann“, sondern darum, „ob man es den Menschen bekannt machen, sie nutzen lassen und für es bezahlen lassen kann“. Also, wer löst dieses Problem? Natürlich derjenige, der dir helfen kann, Benutzer zu finden.
Der Publikums-Partner ist derjenige, der dir helfen kann, die ersten Benutzer zu gewinnen, Markenbekanntheit aufzubauen und den Markt zu beeinflussen: Er ist die knappste Ressource in deinem Startup-Prozess.
Erik hat ein sehr typisches Beispiel genannt:
Als er Turpentine gründete, hatte er keinen „technischen Partner“, aber einen „Publikums-Partner“ — sich selbst.
Durch das Produzieren von Podcasts, das Schreiben von Artikeln und das Betreiben von Communities hat er eine große Anzahl von Anhängern in der Tech- und Startup-Szene angesammelt; diese Leute sind nicht nur Hörer, sondern auch potenzielle Benutzer, Kunden, Investoren und sogar zukünftige Mitarbeiter.
Er sagt: Jedes Podcast, das ich mache, dient der Werbung für Turpentines Produkte und der Bekanntmachung der von uns investierten Startups.
Natürlich ist der technische Partner nicht unwichtig. Aber jetzt kann die Technologie ausgelagert, gelernt oder mit Tools genutzt werden, während Publikum, Vertrauen, Marke und Einfluss die am schwersten zu replizierenden Ressourcen sind.
Wenn du einen Publikums-Partner hast, der Benutzer bringen kann, hast du bereits einen Markt, bevor dein Produkt auf den Markt kommt.
Also, wenn du technisch versiert bist, suche jemanden, der ein Publikum bringen kann; wenn du aus dem Bereich Inhalte oder Medien kommst, suche jemanden, der ein Produkt entwickeln kann. Das ist heute die goldene Kombination.
Turpentine war zunächst eine Podcast-Firma und hat sich dann allmählich zu einer Mischung aus „Medien + Community + Investition“ entwickelt. Der gesamte Weg hat sich von der Monetarisierung von Traffic abgewandt und zur Monetarisierung von Vertrauen geführt.
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Dieser Weg ist zwar gut, aber hast du dir jemals überlegt, warum die Menschen immer weniger traditionellen Institutionen vertrauen? Was ist der Unterschied zwischen diesen Institutionen und Publikums-Partnern?
Erik Torenberg hat in dem Interview gesagt, dass die Menschen in der Vergangenheit Institutionen vertraut haben, weil diese „Fachwissenbarrieren“ und „Zugangsschwellen“ hatten. Regierung, Medien, Universitäten, Religion, große Unternehmen … diese Institutionen, denen wir in der Vergangenheit „autoritäre“ Status zugeschrieben haben.
Beispielsweise:
Du schreibst keine Nachrichten selbst, daher vertraust du der New York Times; du führst keine Forschung selbst durch, daher vertraust du Universitäten; du verstehst die Politik nicht, daher vertraust du der Regierung. Aber jetzt verschwinden diese Barrieren.
Jeder kann online seine Meinung äußern, und Informationen können frei verbreitet werden; die „Black-Box“-Praxis von Institutionen wird immer stärker preisgegeben.
Soziale Medien sind wie ein Vergrößerungsglas, das die Unfähigkeit und Undurchsichtigkeit von Institutionen vor jedem Menschen zeigt; dies führt zu dem Ergebnis, dass die Menschen nicht mehr der Institution selbst vertrauen, sondern eher einem konkreten Menschen.
Er hat auch weiter darauf hingewiesen, dass ein weiterer Grund für den Zusammenbruch des Vertrauens ist:
Viele traditionelle Institutionen verfolgen nicht mehr das Ziel, den Benutzern zu dienen, sondern das Ziel, ihre eigene Existenz aufrechtzuerhalten.
D.h., die Motivation der Institutionen hat sich geändert. Sie bemühen sich nicht mehr darum, „Probleme zu lösen“, sondern darum, „weiter zu existieren“.
Beispielsweise:
Das Bildungssystem wird immer teurer, aber die Qualität der Lehre steigt nicht; das Gesundheitssystem wird immer komplexer, aber es wird immer schwieriger, sich behandeln zu lassen; diese Institutionen waren einst die Stützen der Gesellschaft, aber viele Menschen finden heute, dass sie „von der Realität abgehoben“, „reaktionsträge“ und „ineffizient“ sind.
Er sagt: Wenn eine Institution nicht mehr den Benutzern, sondern nur ihrer internen Struktur verpflichtet ist, verliert sie die Grundlage für Vertrauen.
Das Wichtigste ist: Erik meint, dass das Internet nicht nur die Art und Weise, wie wir Informationen erhalten, verändert hat, sondern auch unser Verständnis von „Vertrauen“.
In der Vergangenheit vertrauten wir einer Institution, weil sie „autoritär wirkte“; heute vertrauen wir einem Menschen, weil er „wirklich scheint“. Die Menschen vertrauen eher einem echten Menschen mit Standpunkten und Ansichten.
Die Interviews aus dem Bereich Venture Capital, die der Podcast-Moderator Harry Stebbings führt, sind überzeugender als eine Nachrichtenberichterstattung; Die Autobiografie eines Unternehmers auf Twitter ist bewegender als eine Unternehmensbilanz; Ein unabhängiger Autor auf Substack hat mehr Einfluss auf das Branchenverständnis als eine traditionelle Zeitschrift.
Diese „transparente + direkte“ Vertrauensweise macht es für traditionelle Institutionen immer schwieriger, sich anzupassen. Daher ist die Essenz von Vertrauen die Rückverfolgbarkeit von Verantwortung.
Wenn etwas schief geht und du weißt, wen du ansprechen sollst, vertraust du eher; wenn etwas schief geht und niemand weiß, wen man ansprechen soll, vertraust du weniger.
Das Problem bei traditionellen Institutionen liegt genau in der „Verantwortungsunschärfe“. Wenn ein Fehler in einer Nachrichtenberichterstattung auftritt, weiß man nicht, ob es der Redakteur, der Journalist oder der Chefredakteur ist; wenn ein Problem mit einem Unternehmensprodukt auftritt, weiß man nicht, ob es der CEO, der Ingenieur oder das PR-Team ist.
Anders ist es bei persönlichen Autoren:
Wenn der Podcast-Moderator etwas Falsches sagt, wird er direkt kritisiert; wenn ein Autor falsche Daten angibt, wird ihm direkt darauf hingewiesen; wenn ein Influencer ein schlechtes Produkt empfiehlt, wird er direkt entfolgt. Dieser „rückverfolgbaren Verantwortungs“-Mechanismus macht es für persönliche Autoren leichter, Vertrauen zu gewinnen.
Daher gehen wir von einer Ära des „Institutionsvertrauens“ in eine Ära des „Persönlichenvertrauens“ über.
Das heißt nicht, dass Institutionen nicht mehr wichtig sind, sondern: Institutionen müssen lernen, so transparent wie ein Mensch zu sein, ein rückverfolgbares Verantwortungsystem aufbauen und das Vertrauen der Öffentlichkeit wiedergewinnen, sonst werden sie immer stärker marginalisiert.
Das Internet hat diese Probleme verstärkt und auch dazu geführt, dass die Menschen sich „echteren, direkteren und persönlicheren“ Vertrauensquellen zuwenden.
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Wenn das Vertrauen von Institutionen zu Menschen übergeht, welche Rolle spielt die Technologie dabei? Repariert sie das Vertrauen oder verschärft sie die Vertrauenskrise? Erik Torenberg hat in dem Interview einen Satz gesagt, der mich besonders beeindruckt hat:
Die Technologie definiert „Realität“ neu.
Dieser Satz klingt etwas abstrakt, aber wenn du darüber nachdenkst, wirst du feststellen: Unser Verständnis von „Realität“ wurde bereits von der Technologie neu geformt.
Wir kennen die Welt über den Bildschirm, statt uns persönlich zu beteiligen; wir äußern uns über soziale Plattformen, statt direkt zu sprechen; wir bauen unsere Identität, Beziehungen und sogar das Gefühl von Zugehörigkeit in der virtuellen Welt auf.
Die Technologie wird zur Grundlogik der Kultur, und in diesem Prozess entsteht eine neue Rolle: der Realitäts-Unternehmer (Reality Entrepreneurs).
Der Realitäts-Unternehmer ist eine Kombination aus „Realität“ und „Unternehmer“.